Ein anderer Zugang zum Lesen und Schreiben
In zahlreichen Schreibmethoden wird den Kindern erklärt, dass die geschriebene Sprache eine Abbildung der gesprochenen Sprache sei. Wenn sie also die Buchstaben kennen, dann müssten sie einfach das, was sie sprechen in Buchstaben übersetzen. Oft wird ihnen gesagt, sie müssten nur genau hören, sie müssten nur die Laute lang auseinander ziehen, und dann hörten sie was zu schreiben sei. Doch die sogenannte Dehnsprache hilft nicht weiter, denn sie gaukelt den Kindern vor, dass man beim Schreiben einfach einen Laut nach dem andern aneinanderreihen muss, um ein korrekt geschriebenes Wort zu erhalten. Dass jeder Laut auch an anderer Stelle im Wort mit sich identisch sei, das stimmt nicht. Jeder Laut kann unterschiedlich tönen, je nach dem in welchem Kontext er steht.
Doch oft wird dieses Wissen nicht korrekt vermittelt.
Die Kinder bekommen Freude an der Schriftsprache, wenn sie erleben, dass die deutsche Sprache wohl ihre Eigenheiten hat, dass diese aber durchschaut werden können. Sie profitieren vom Zugang zur Schriftsprache wie er in der Schule 3×3 vermittelt wird.
Ich stelle die Silbenanalytische Methode vor.
Sie wurde von Frau Dr. Prof. Christa Röber-Siekmeyer von der Pädagogischen Hochschule in Freiburg im Breisgau entwickelt. Diese Methode basiert auf den orthographietheoretischen Modellierungen von Utz Maas.
Lesen und Schreiben lernen ist eine kognitive Leistung
Die Auseinandersetzung mit der silbenanalytischen Methode erfordert von den Kindern viel Abstraktion und Symbolverstehen. Diese Form der Heranführung an die Schrift erfordert Denken. Das Erfassen der Strukturen in unserer Sprache
ist nicht selbstverständlich, sondern muss durch kognitive Arbeit eingeübt werden. Damit diese möglich ist, müssen die Kinder über ein Fachwissen zu grammatischen Begriffen verfügen.
Erst wenn die Kinder diese Fachbegriffe anwenden können, dann können sie darüber sprechen, was sie tun, beim Schreiben und Lesen. Sie verfügen über eine Metaebene.
Wie bereits erwähnt, tönt das alles sehr abstrakt. Doch der Unterricht leidet darunter nicht, denn die Gespräche über die Grammatik, über die Orthographie sind immer sehr lebendig und interessant.
Methoden in einem Unterricht der an der wissenschaftlichen Analyse des Gegenstands orientiert ist, erhalten häufig die Etiketten „trocken, einengend, nicht kindgemäss“.
Die Praxis in der Schule 3×3 zeigt aber das Gegenteil. Die Kinder arbeiten ausgesprochen gerne mit der Silbenanalytischen Methode. Wenn es den Kindern gelingt, in Wörtern eine Struktur, eine Ordnung zu erkennen, so gibt ihnen dies das Gefühl von Überlegenheit über die Wörter. Sicher trägt die Darstellung „ im Silbenhaus“ viel dazu bei. Das ist sehr wichtig.
Verbundensein
Ich erzähle den Kindern gerne über die Vergangenheit eines Unterrichtsfaches.
Das ermöglicht ihnen, sich mit dem Unterrichtsgegenstand verbunden zu fühlen.
Ich finde, dass es vor allem die Rechtschreibung verdient in einem grösseren Zusammenhang zu stehen.
So berichte ich den Kindern über Eigenheiten unserer Schrift.
Wenn wir schreiben, halten wir das fest, was wir sprechen. Die Buchstaben sind die symbolischen Zeichen für den Klang eines Wortes. In der Fachsprache sagen wir, dass wir Buchstaben sehen und Laute hören können. Wenn wir schreiben wollen, so müssen wir zuerst auf die Laute eines Wortes achten, diese dann mit Buchstaben schreiben. Aber wir müssen gut aufpassen, wir müssen richtig gute Detektive sein, denn oft müssen wir ein und denselben Buchstaben schreiben, obwohl der Klang unterschiedlich tönt.
Ein Beispiel: Er hatte kein Bett.
Ein Buchstabe, das „E,e“ steht für vier unterschiedliche Laute. Wir benutzen beim Sprechen mehr unterschiedliche Laute, als es in unserem Alphabet mit den 26 Buchstaben gibt.
Wir besitzen eigentlich zu wenig Buchstaben.
Wie kam es dazu?
Das deutsche Alphabet entwickelte sich aus dem lateinischen Alphabet heraus.
Um die gesprochene lateinische Sprache zu schreiben, genügten 26 Buchstaben, denn das gesprochene Latein kennt keine Langvokale, keine Kurzvokale und keine Reduktionssilben.
Bis weit ins Mittelalter hinein wurden die meisten Texte in Latein verfasst.
Um 1450 erfand Johann Gutenberg den Buchdruck mit beweglichen Lettern.
Immer mehr Bücher kamen unter die Leute und die Nachfrage nach Texten in deutscher Sprache stieg.
Die Schriftsetzer und Drucker betrachteten es als ihre Aufgabe herauszufinden, auf welche Weise deutsche Texte mit dem Alphabetsystem des Lateinischen geschrieben werden konnten. Es war ihnen wichtig, dass die Texte gut lesbar waren, damit sich die Bücher gut verkaufen liessen.
Sie analysierten die gesprochene Sprache und entdeckten vier Varianten, wie Silben strukturiert sind. Langvokal in offener oder geschlossener Silbe, Kurzvokal in offener oder geschlossener Silbe.
Entsprechend legten sie Ordnungen für die Buchstabenfolgen fest. Damit die Leser bei einem Wort erkennen können, ob ein Vokal als Kurzvokal zu lesen sei, legten die Schriftsetzer und Drucker fest, wie Buchstaben zu kombinieren sind, damit sie als Kürzungskennzeichen erkennbar sind. Wenn wir Wörter schreiben, dann können wir also nicht einfach Buchstaben aneinanderreihen. Je nachdem wie Wörter tönen, muss man Buchstaben unterschiedlich miteinander kombinieren.
Das ist kompliziert. Für die vielen, vielen Tausend Kinder, die seit der Erfindung der beweglichen Lettern das Lesen und Schreiben lernen mussten, wäre es wohl einfacher, wenn die Sprachbastler neue Zeichen erfunden hätten.
Doch für Kinder, die gerne als Detektive und Sprachforscher unterwegs sind beim Lernen, für die gibt es viel Spannendes zu entdecken.
Fachwissen
Buchstaben sind die Spuren von Klängen
Laute sind das was wir hören, wenn wir sprechen.
Wenn wir gesprochene Sprache festhalten wollen, dann müssen wir die unsichtbaren Laute in sichtbare Zeichen übersetzen.
Buchstaben sind Zeichen, die gesprochene Sprache festhalten.
Die Buchstaben können in zwei Gruppen eingeteilt werden, in Vokale und in Konsonanten.
Vokale
A, E, I, O und U sind Vokale.
Zu jeder Silbe gehört ein Vokal. Vokale bilden den Silbenkern. Sie sind also sehr wichtig. Nur Vokale können kurz oder lang gesprochen werden.
Zu den Vokalen gehören auch die Umlaute, ä,ö und ü.
Konsonanten
Das sind die Konsonanten.
B, C, D, F, G, H, J, K, L, M, N, P, Q, R, S, T, V, W, X, Y, Z
Die Konsonanten bilden die Umgebung des Vokals. Sie tönen erst richtig mit Vokalen zusammen.
Auch die Konsonanten können nochmals eingeteilt werden.
Es gibt harte Konsonanten. K, P, T.
Es gibt weiche Konsonanten. B, D,G,
Die Silbe
Silbe heisst übersetzt “Das beim Sprechen Zusammengefasste.“
Gesprochene Sprache fliesst immer vorwärts. Doch der Sprechfluss wird durch unterschiedliche Tonhöhen und durch unterschiedliche Lautstärken unterteilt.
Diese Unterteilungen nennt man Akzente.
Durch die Akzente erhält die Sprache ihre Melodie und ihren Rhythmus.
Die kleinste wahrnehmbare Einheit im Sprechfluss ist die Silbe. Alle Menschen kennen das Spiel mit Silben. Bereits Kleinkinder plappern in Silben.
In der deutschen Sprache wechseln sich betonte und unbetonte Silben ab.
Dieses Akzentmuster heisst Trochäus.
Es gibt verschiedenartige Silben. Betonte und unbetonte, offene und geschlossene.
Betonte und unbetonte Silben
Die meisten zweisilbigen Wörter in der deutschen Sprache bestehen aus einer betonten Silbe, auf die eine unbetonte Silbe folgt.
Die unbetonte Silbe eines Wortes beginnt stets oder fast stets mit einem Konsonanten.
Offene Silben
Offene Silben enden mit einem Vokal, zB. le ben, Schu le, ü ben
Geschlossene Silben
Geschlossene Silben enden mit einem Konsonanten, zB. Tin te, Far be, tan zen
Die Ordnung im Silbenhaus
Zur Veranschaulichung der Wortstrukturen wird ein Häuserbild verwendet, das die Kinder an die Ordnungen des Silbenaufbaus heranführt.
Das Silbenhaus hat zwei Zimmer und zwei Garagen.
Im Haus wohnt die betonte Silbe. Das Haus hat zwei Zimmer.
In der Garage wohnt die unbetonte Silbe. Die Garage besteht aus zwei Garagen.
So sieht es in Zimmer 1 aus
Hier wohnen immer Konsonanten oder Konsonantengruppen. Es kann auch leer sein.
So sieht es in Zimmer 2 aus
Zimmer 2 ist das wichtigste Zimmer. Hier wohnt der Silbenkern, der Vokal.
Er steht stets zuvorderst. Wenn der Vokal lang tönt, dann wohnt er allein. Er tönt dann genau so, wie es zu seinem Buchstaben passt. Z.B. Rose
Wenn der Vokal kurz tönt, dann steht nahe bei ihm noch ein Konsonant. Dieser drückt den Vokal zusammen.
Die Silbenhäuser füllen
Die Garage wird als erstes gefüllt. Hier wohnt die unbetonte Silbe.
Sie wird zuerst gefüllt, weil sie einfacher zu bestimmen ist. und
weil man dann die Art der betonten Silbe besser bestimmen kann.
Wenn die unbestimmte Silbe festgehalten ist, dann kann man den Vokal in der betonten Silbe gut hören. Es lässt sich unterscheiden, ob er kurz oder ob er lang gesprochen wird.
Das ist die Ordnung im Silbenhaus 1
Im Silbenhaus 1 wohnt der Vokal ganz allein in Zimmer 2.
Er wird also lang gesprochen. Um den lang gesprochenen Vokal wird ein roter Kreis gezogen, zB. lesen, Löwe, Fragen.
Das ist die Ordnung im Silbenhaus 2
Im Silbenhaus 2, wohnt der Vokal nicht allein. Er steht trotzdem vorne im Zimmer 2. Ein Konsonant wohnt ebenfalls im Zimmer 2. Er drückt den Vokal zusammen.
Man zieht ein rotes Herz um den Vokal zusammen mit dem Konsonanten, zB. Enten, zarte, starten.
Im Silbenhaus 3 wohnen Wörter mit einer Kürzung
Das Silbenhaus 3 zeigt klar, weshalb es überhaupt Kürzungen braucht.
Im Silbenhaus 3 wohnt in Zimmer 2 ein Kurzvokal in offener Silbe.
Komische Sache. Ein Vokal kann doch nur kurz sein, wenn ein Konsonant ihn im Zimmer 2 zusammendrückt. Da es aber eine offene Silbe ist, fehlt ein solcher Konsonant.
Es braucht einen Trick.
Man verdoppelt einfach den Konsonanten aus Garage 1, zB. Himmel, Sonnen, fallen.
Aufgepasst!
Es gibt Kinder, die Silbenhaus 3 mit Silbenhaus 2 verwechseln.
Besonderheit: das Silbenhaus 1B
Im Silbenhaus 1B wohnt in der Besenkammer das „Dehnungs-h“
Es gibt Wörter die haben einen lang gesprochenen Vokal in Zimmer 2 und zusätzlich wird diese Länge mit einem „Dehnungs-h“ markiert.
Wenn ein Dehnungs-h möglich ist, wird in Zimmer 2 eine Besenkammer für das Dehnungs- H gezeichnet.
Besonderheit: das Silbenhaus 1 mit ie
Eigentlich würde das „i“ in Silbenhaus 1 bereits lang gesprochen. Trotzdem wird in den meisten Fällen für das lange i ein ie geschrieben.
Weitere Kennzeichnungen
In allen Silbenhäusern wird das Dach bemalt.
Die Dachfarbe zeigt die Wortart an.
Im Kamin steht die Nummer des Silbenhauses.
Die Garagen werden gelb bemalt.