Arbeiten aus der Ruhe, Zeichenstunde
Die Kinder durchstöberten Tierbücher. Es war deutlich spürbar, sie wollten genau das Tier finden, das zu ihnen passt. Eines schaute nur Hundebücher an, ein anderes legte sein Augenmerk vor allem auf kleine Tiere, andere interessierten sich für die Raubkatzen.
Die Kinder durften das Bild entweder abzeichnen oder kopieren. Die meisten entschieden sich für die zweite Variante.
Felix zeichnete den Wüstenfuchs, den Fennis ab. In meinen Augen und in den Augen der Kinder war die Kopie perfekt gelungen. Auch Felix war zufrieden mit dem Resultat. Er erklärte uns, dass der Kopf auf der Kopie eine leicht andere Drehung habe, doch er hätte das so machen müssen, damit der ganze Körper Platz gefunden habe. Tino empfahl Felix, die Stelle am Kopf des Fennis, oben zwischen den Ohren nochmals genau zu studieren. Er finde, die Linie müsste nicht nach oben geschwungen sein, sondern eher leicht nach unten gewölbt.
Viktor hatte sich für das Kopieren von Hunden entschieden. Er entnahm die Unterlagen einem Buch über Hundeerziehung. Ich fand, dass darin viele Bilder sich nicht gut eigneten zum Kopieren, weil auf den meisten Bildern ganze Hundegruppen abgebildet waren. Doch Viktor hatte die Bilder aus diesem Buch ins Herz geschlossen. Er suchte und suchte, bis er sich für drei Vorlagen entscheiden konnte. Das Resultat lässt sich sehen. Die drei Hunde sehen richtig süss aus.
Thomas wählte einen Leopard aus, der lang ausgestreckt im Schatten eines Baumes liegt und mit seinem Jungen spielt. Ich besprach mit ihm die Hürden, die er werde nehmen müssen, damit er diesem Tier mit dem reich geschmückten Fell gerecht werden könne. Thomas war sich der Situation bewusst und meinte: Es wird mich Zeit kosten, doch ich werde beharrlich arbeiten. Und sonst werde ich mich auf das Kopieren des Kopfes beschränken. Thomas begann sogleich mit Farbe zu arbeiten. Wir haben in der Schule 3×3 eine grosse Auswahl an Farbstiften, die 40er Schachtel, die 60er Schachtel. Thomas erhielt als erster Schüler die 36er Schachtel. Sie enthält Farbstifte mit grösserer Leuchtkraft und feinen Farbabstufungen.
Ich kann jetzt schon sagen, der kopierte Leopard wird wunderschön. Ich staune über die Intensität der Farben.
Es herrscht eine wunderschöne Atmosphäre.
At the green table findet eben ein Beratungsgespräch statt. Louis lässt sich von Tino beraten. Louis hatte seinen jagenden Geparden und die gejagte Gazelle bereits auf dem Pergament festgehalten. Er freute sich sehr über das Erschaffene. Nun wollte er den Bleistift auswechseln gegen die Farbstifte. Doch wie soll er die Farbabstufungen erreichen? Welche Stifte sind die richtigen? Tino berät ihn, zeigt ihm verschiedene Farbmuster auf einem Makulaturpapier.
Martin möchte ein Wiesel kopieren. Er plante, dass er die Vorlage ans Fenster kleben werde und dann mit Bleistift die Konturen nachziehen. Doch Tino konnte ihn von einer andern Technik überzeugen. Also übermalte Martin eine Fläche mit Bleistift und erhielt so eine Art von Kohlepapier. Er war sehr stolz als er das Wiesel als Kopie vor sich sah. Gekonnt malt er das Tier, achtet auf eine feine Abstimmung der Farben. Glücklich sitzt Martin neben Felix at the green table. Dieser nimmt ihm ab und zu einen Stift aus der Hand und malt eigenhändig eine heikle Stelle.
Helfer Schule 3×3
Als der Schutag zu Ende ist, kommt Martin, ein Zweitklässler an meinen Tisch und sagt:
“ Wenn Sie einmal zu viel Arbeit haben oder es einfach Arbeiten zu erledigen gibt, dann können Sie mich rufen. Ich bin der Held der Schule 3×3. Äh nein, das ist übertrieben. Ich bin das Helferlein der Schule 3×3. Wenn ich nicht da bin und es gibt etwas zu tun, können Sie mich einfach anrufen.“
Ich antworte Martin: „ich bin sehr froh, wenn ich dich rufen kann. Da freut sich die Schule 3×3.“
Die Selbsteinschätzung des eigenen Leistungsniveaus
Ich verlange von den Kindern regelmässig, dass sie ihre Ergebnisse aus Arbeiten oder Prüfungen bewerten, bevor ich das tue. Ich gebe eine Sammlung von Fragen vor oder nur einzelne Fragen.
Beispiele
Was hast du geschafft und womit bist du zufrieden?
Gründe für das Ergebnis angeben
Woran lag es, dass du das hier geschafft hast?
Woran lag es, dass du diese Teile nicht geschafft hast?
Woran lag es, dass du diese Aufgabe nicht so geschafft hast, wie du eigentlich wolltest?
Die Aufgabe einordnen
War das eine Aufgabe, bei der man sich anstrengen muss?
War das eine Aufgabe auf die man sich gut vorbereiten kann?
Muss man zum Lösen dieser Aufgabe besonders begabt sein?
Differenzierte Analyse der Ursachen.
Was genau war schwer oder leicht an dieser Aufgabe?
Was hast du genau gemacht, um diese Aufgabe zu lösen?
In der grossen Studie von John Hattie „Das Lernen sichtbar machen“ wird aufgezeigt, dass der Selbsteinschätzung des eigenen Leistungsniveaus grosse Bedeutung zukommt. Sie kommt in der Rangliste von 138 Einflussfaktoren auf Rang 1.
Dabei muss ein heikler Punkt beachtet werden. Es gibt Kinder die ihre Erfolgserwartung grundsätzlich tief halten, weil sie in der Vergangenheit vielleicht viele schlechte Leistungsergebnisse gehabt haben.
In diesen Fällen ist mein Feedback, das ich unter die Arbeit schreibe besonders wichtig. Ich muss sorgsam darauf achten, wie ich das Vertrauen in den Lernerfolg verstärken kann.
Ich unterscheide zwischen Feedbacks die sich auf die Anstrengung beziehen und solchen die sich auf die Fähigkeit beziehen.
Zwei Beispiele
Erfolg-Anstrengung: Das sehr gute Ergebnis ist auf deine hohe Anstrengung zurück zu führen. Du hast das konzentriert durchgearbeitet.
Erfolg-Fähigkeit: Bei diesem Thema kennst du dich sehr gut aus. Mathe liegt dir offensichtlich.
Lehrerin sein
Lehrerin sein fordert viel von mir. Ich empfinde meine Aufgabe als grosse Verantwortung. Es gibt viel Arbeit auf unterschiedlichen Ebenen. Ich lehre, beobachte, analysiere, führe, kontrolliere, organisiere und rede. Ich reflektiere mich und mein Tun kontinuierlich. „Lernen die Kinder genug, lernen sie das Richtige, lernen sie das Richtige auch richtig und tief genug?“
Anschliessend an den Unterricht schreibe ich für die Kinder oft Texte über ein Verhalten, welches mir im Laufe des Tages besonders aufgefallen ist. Das sind häufig erfreuliche Begebenheiten. Am nächsten Tag lese ich meine Beobachtungen der ganzen Lerngruppe vor. Es kommt auch vor, dass ich anschliessend an ein besonders geglücktes Verhalten eines Kindes die Lerngruppe zusammenrufe, um allen zu berichten was vorgefallen ist.
Doch dass ich mich in solchen Momenten freue, dass etwas Schönes passiert, dazu fehlt mir schlicht die Zeit.
Immer öfters nehme ich mir Zeit, um zu spüren. Ich bin berührt. Es gibt so viele schöne Momente. Ein Knabe aus der fünften Klasse schreibt einer Erstklässlerin eine Zeile mit der Ziffer 7 vor. Sie muss mit Farbstift überschreiben. Er kontrolliert ganz genau. Er verlangt, dass sie die vorgegebene Schreibrichtung exakt einhält. Er zeigt nochmals vor. Er verlangt, dass sie wiederholt. Am Schluss drückt er seine Zufriedenheit aus. Das alles geschieht nahe bei mir, denn die beiden arbeiten an meinem Tisch im Schulzimmer.
Ausschnitt aus einem Feedback im Logbuch eines Kindes.
Lieber Viktor, du bist ein Schnellhase beim Arbeiten. Heute solltest du die Seite 28 im Mathebuch rechnen. Du bekamst den Auftrag zu zeigen, wenn der Titel geschrieben sei. Das dauerte sehr lange. Als du zeigen musstest, war erst ein kleiner Teil des Titels geschrieben, dafür in vielen Farben.
Viktor, was ist los? Du bist sonst immer so schnell. Was bremst dich? Aus irgendeinem Grund arbeitest du so lange am Titel. Hast du Angst vor etwas?
Viktor. Es sind so hohe Zahlen auf dieser Seite.
Aha! Du denkst, wenn du langsam machst, dann kannst du die Angst länger wegschieben. Das ist super, dass du das gemerkt hast. Beim nächsten Mal wenn du das merkst, dann melde dich sogleich. Es ist schade um die Zeit die du vergeudest.
Viktor macht sich mutig an die Arbeit.
Heute will ich viel arbeiten
Mit diesen Worten begrüsst mich Damian. Er besucht erst seit kurzem die Schule 3×3. Er kam mit dem Etikett „Leistungsverweigerer“ in die Schule 3×3. Das sei ein guter Vorsatz, entgegne ich. Doch richtig bewerten könne man diese Aussage erst, wenn der Tag vorüber sei.
Damian muss in seinem Logbuch ein Säulendiagramm zeichnen, mit einem Raster von 0 bis 10. Dann muss er sich entscheiden, bei welcher Zahl er sich mit seinem viel Arbeiten sieht. Er entscheidet sich für eine 8. Dementsprechend markiert er die Säule.
Vor Schulschluss kommt Damian zu meinem Pult und zählt auf, was er alles gearbeitet hat. Er findet, dass er anhand dieser Aufzählung merke, dass er sich eine 7 geben könne. Er hätte gedacht, er könne noch mehr arbeiten. Auch wenn Damian die 8 nicht erreicht hat, ist er zufrieden mit sich.
Facetten
Im Laufe eines Tages kann ich viele Gelegenheiten finden für Unterhaltungen mit den einzelnen Kindern.
Auf dem Weg zum Mittagessen ins nahe gelegene Personalrestaurant des Spitals bleibt Leon oft stehen, wenn ein Auto vorbeifährt und er ruft mir in hellem Entzücken zu, dass ich jetzt hören solle, wie schön dieser Motor töne. Er erklärt mir dann die Vorteile der Viertakt, Sechstakt und Achttaktmotoren und wie es dazu kommen kann, dass sich die Geräusche stark unterscheiden. Ich kann diese Finessen nicht unterscheiden, ich freue mich einfach über Leon, wie sein ganzer Körper strahlt, wenn er über Autos spricht.
Slivio trainiert in der Freizeit Kung Fu. Jeweils am Morgen nach einer Trainingsstunde zeigt er mir vor, was er neu gelernt hat. Besonders gerne demonstriert er die Bewegungen die er mit dem Schwert/ Säbel ausführt. Zuerst erklärt er wie der Ablauf sich aus unterschiedlichen Einheiten zusammensetzt, und er weiss auch wie wichtig der Atem ist. Dann zeigt er mir die Abfolge vor. Es ist eine grosse Freude, ihn in seinem konzentrierten Tun zu beobachten.
Einmal berichtete ich den Kindern, dass Herr Baumgartner nach Singapur fliegen werde. Da meldete sich Martin:“ Dann fliegt er um 11.45 von Zürich weg mit dem Airbus A 380-800, er hat die Flugnummer SQ 345, es ist ein Nonstop Flug bis Singapur, der 12 Stunden und 10 Minuten dauern wird.“ Dass sich Martin mit der Thematik „Flugzeuge“ intensiv befasst, das wussten alle, doch dass er sich so genau auskennt, das wurde uns erst jetzt richtig bewusst.
Sophia ist mit dabei
Sophia hat eine Autismus Spektrum Störung. Sie ist Fan der Buben. Sie strahlt, wenn einer von ihnen mit ihr arbeitet. Da sitzt Damian mit Sophia am grünen Tisch inmitten des schoolrooms und will mit ihr ein Puzzle machen. Doch Sophia packt den Buben an der Hand und zieht ihn zum Kasten wo die Farbstifte sowie die Papiere aufbewahrt sind. Sie gibt so kund, dass sie möchte, dass Damian mit ihr zeichnen solle. Genau an diesem Tag meinte Damian, er wolle heute etwas anderes machen mit Sophia. Doch nun kann er nicht widerstehen und er zeichnet Gegenstände, wobei Sophia stets die Farbe auswählen darf. Damian zählt laut die Anzahl der jeweiligen Dinge und schreibt die Ziffer hin.
Während der Pause schaut Sophia liebend gerne den Buben zu wenn sie Hütten bauen im workroom. Eines Tages kriecht auch sie in eine der Hütten.
Vier Buben spielen an einem der Tische Monopoly. Ab und zu schaue ich ihnen zu. Ich staune. Wer sitzt da plötzlich auf dem Stuhl an der Kopfseite des Tisches? Es ist Sophia. Alle freuen sich, dass sich Sophia für ihre Spiele interessiert.