Monopoly auf See

Verbunden sein

Auf den glitzernden Wellen des Zürichsees schaukelt ein Floss.

An einem Tisch sitzen acht Buben. Sie sind in ein Spiel vertieft. Sie haben dieses Monopolyspiel während einer Projektwoche entwickelt und hergestellt. Für den tiefblauen Himmel, für das prächtige Panorama haben sie keine Augen. Auch das Wasser vermag sie jetzt noch nicht zu locken.

Sie sind stolz, denn sie können zeigen, dass sie als Gruppe gut funktionieren, dass sie anspruchsvolle Aufgaben lösen können.

Das Abenteuer „Schule 3×3 mit Monopoly auf Tisch auf See“ entsprach natürlich den Vorlieben der Kinder. Gemeinsame Abenteuer planen und erleben, mit Werkzeugen hantieren, Gegenstände konstruieren und sie zweckmässig nutzen, das alles sind Tätigkeiten die den Kindern zusagen.

Sie erinnern sich zum Beispiel gerne an die Zeit zurück, als sie im Rahmen von Mensch und Umwelt als „Steinzeitsippe zusammenleben durften.“ Die Kinder beobachteten die Natur mit anderen Augen, nämlich mit den Augen von Sammlerinnen und Sammlern. Überall entdeckten sie Essbares. Sie fanden Haselnüsse, Baumnüsse, Äpfel, Birnen, Quitten, Zitronenmelisse. Die Kinder erfuhren die Unbill der Natur. Am See wehte oft ein starker Wind, wenn sie am Aufbauen oder am Abbauen der Zelte waren. Der Wind blies durch jede Ritze und die Kinder suchten immer nach Techniken, wie sie ihre Zelte abdichten könnten.

In der Frühzeit der Menschheit waren die Techniken der Feuernutzung, der Jagd, der Ernährung und Küche, des Ackerbaus, der Ökonomie oder der sozialen Organisationen wichtige Kulturtechniken.

Ich spüre bei den Kindern stets eine kleine Wehmut, dass in der heutigen Zeit die Kulturtechniken jener Zeiten in den Hintergrund getreten sind und die Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen im Mittelpunkt stehen.

Wissen, um zu verstehen

Ich kann verstehen, dass den Kindern der Wechsel von der „realen Welt in die symbolische Welt“ nicht leicht fällt. Es ist anstrengend sich die mentalen Werkzeuge der heute wichtigen Kulturtechniken zu erwerben.

Ich drücke mein Verständnis dafür oft aus, indem ich den Kindern Episoden aus der grossen Geschichte der Kulturtechniken erzähle.

Dass in den Urzeiten der Menschheit andere Fähigkeiten als lesen, schreiben und rechnen lebensnotwendig waren, davon bekamen die Kinder während “ihrer Zeit als Steinzeitsippe“ eine kleine Ahnung.

Es ist sogar so, dass unser Gehirn eigentlich gar nicht geschaffen ist, um Lesen und Schreiben zu lernen. Auf den Erwerb dieser Fähigkeiten hat die Evolution unser Gehirn nämlich nicht vorbereiten können, weil es diese Kulturtechniken erst seit entwicklungsgeschichtlich relativ kurzer Zeit gibt. Sprechen oder motorische Fähigkeiten werden beiläufig erworben, weil sie durch Lernprogramme angeleitet werden, die im Zuge der Evolution entstanden sind. Der Erwerb dieser Fähigkeiten wird daher als „privilegiertes, primäres Lernen“ bezeichnet. In diesen Bereich gehören unter anderen elementares Zählen, Spuren anbringen, Muster unterscheiden, nach wahrnehmbaren Mustern kategorisieren. Die Fähigkeit andere nachzuahmen und damit die Absicht des Nachahmenden zu erfassen, ist als privilegierte Fähigkeit ausgeprägt, wie auch das Kommunizieren.

Der Erwerb von Lesen, Schreiben und Rechnen wird als „nicht privilegiertes, sekundäres “ Lernen bezeichnet. Im Gegensatz zum privilegierten Lernen muss es in der Schule durch geeignete Massnahmen angeleitet werden. Es kann nicht einfach nachgeahmt werden, es muss gelernt werden. Ohne Knochenarbeit geht das nicht. Mit der Erfindung der Schrift vor 5’000 Jahren entstanden für das „nicht privilegierte“ Lernen die Schulen.

Auch Unterrichtsfächer haben eine eigene Geschichte

Ich erzähle den Kindern gerne über die Vergangenheit eines Unterrichtsfaches. Das ermöglicht ihnen, sich mit dem Unterrichtsgegenstand verbunden zu fühlen. Ich finde, dass es vor allem die Rechtschreibung verdient in einem grösseren Zusammenhang zu stehen.

So berichte ich den Kindern über Eigenheiten unserer Schrift.

Wenn wir schreiben, halten wir das fest, was wir sprechen. Die Buchstaben sind die symbolischen Zeichen für den Klang eines Wortes. In der Fachsprache sagen wir, dass wir Buchstaben sehen und Laute hören können. Wenn wir schreiben wollen, so müssen wir zuerst auf die Laute eines Wortes achten, diese dann mit Buchstaben schreiben. Aber wir müssen gut aufpassen, wir müssen richtig gute Detektive sein, denn oft müssen wir ein und denselben Buchstaben schreiben, obwohl der Klang unterschiedlich tönt.

Ein Beispiel: Er hatte kein Bett.

Ein Buchstabe, das „E“ steht für vier unterschiedliche Laute. Wir benutzen beim Sprechen mehr unterschiedliche Laute, als uns in unserem Alphabet mit den 26 Buchstaben verfügbar sind.

Wir besitzen eigentlich zu wenig Buchstaben.

Wie kam es dazu?

Das deutsche Alphabet entwickelte sich aus dem lateinischen Alphabet heraus. Um die gesprochene lateinische Sprache zu schreiben, genügten 26 Buchstaben, denn das gesprochene Latein kennt keine Langvokale, keine Kurzvokale und keine Reduktionssilben.

Bis weit ins Mittelalter hinein wurden die meisten Texte in Latein verfasst. Um 1450 erfand Johann Gutenberg den Buchdruck mit beweglichen Lettern. Immer mehr Bücher kamen unter die Leute und die Nachfrage nach Texten in deutscher Sprache stieg.

Die Schriftsetzer und Drucker betrachteten es als ihre Aufgabe herauszufinden, auf welche Weise deutsche Texte mit dem Alphabetsystem des Lateinischen geschrieben werden konnten. Es war ihnen wichtig, dass die Texte gut lesbar waren, damit sich die Bücher gut verkaufen liessen. Sie analysierten die gesprochene Sprache und entdeckten vier Varianten, wie Silben strukturiert sind: Langvokal in offener oder geschlossener Silbe, Kurzvokal in offener oder geschlossener Silbe. Entsprechend legten sie Ordnungen für die Buchstabenfolgen fest. Damit die Leser bei einem Wort erkennen können, ob ein Vokal als Kurzvokal zu lesen sei, legten die Schriftsetzer und Drucker fest, wie Buchstaben zu kombinieren sind, damit sie als Kürzungskennzeichen erkennbar sind.

Wenn wir Wörter schreiben, dann können wir also nicht einfach Buchstaben aneinanderreihen. Je nachdem wie Wörter tönen, muss man Buchstaben unterschiedlich miteinander kombinieren.

Das ist kompliziert. Für die vielen, vielen Tausend Kinder, die seit der Erfindung der beweglichen Lettern das Lesen und Schreiben lernen mussten, wäre es wohl einfacher, wenn die Sprachbastler neue Zeichen erfunden hätten. Doch für Kinder, die gerne als Detektive und Sprachforscher unterwegs sind beim Lernen, für die gibt es viel Spannendes zu entdecken.

 

Die Situation in der Gesellschaft

Doch die Kinder müssen sich einer weiteren Herausforderung stellen.

Die heutige Lebensweise ist unter anderem geprägt von Reizüberflutung, Aktivität und Hektik. Der Wohlstand in dem wir leben führt zu einer Konsumhaltung. Wir besitzen bereits viele Güter und kaufen ständig neue hinzu. Es ist gar nicht mehr möglich, dass wir uns intensiv an das binden, was wir besitzen. Kaum haben wir etwas bekommen, so lösen wir uns davon und wenden uns Neuem zu. Die Fülle an Dingen fördert die Haltung, dass wir uns nicht mehr bemühen müssen, um an eine Sache heranzukommen. Die Sache kommt einem entgegen.

Auch das Zusammenleben ist nicht mehr verbindlich. Menschliche Bindungen lösen sich leichter auf als früher. Die Kinder erfahren, dass der Ort, das Zuhause, wo sie sich eigentlich am sichersten fühlen sollten auch nicht mehr einfach sicher ist.

Alle diese gesellschaftlichen Phänomene machen vor den Kindern nicht Halt und wirken sich auf das Lernverhalten der Kinder aus.

 

Herzlich willkommen in der Schule 3×3

Ich denke, dass sich meine wahre Intention hinter dem Abenteuer

„Schule 3×3 mit Monopoly auf Tisch auf See“ langsam zeigt.

Die Kinder befinden sich auf dem Floss, weil ich sie zutiefst verstehen kann.

 

Die Schule 3×3 erfüllt eine wichtige Aufgabe

In der Schule müssen die Kinder innerhalb von wenigen Jahren alles das verstehen lernen, was geniale Wissenschafter über Jahrhunderte entwickelt haben. Wenn wir nur an den Schrifterwerb denken, das ist ein höchst komplexer Vorgang und verlangt von den Kindern kognitive Höchstleistungen.

Es ist die Aufgabe des Systems „Schule“, dass die Kinder erfahren, dass ihnen das Wissen nicht einfach entgegenkommt, dass sie sich darum bemühen müssen. Sie müssen genau hinhören, sie müssen sich abgrenzen, sie müssen arbeiten, auch wenn es ihnen schwer fällt. Die Kinder sind verpflichtet, sich mit dem Wissen zu verbinden, so kann Konzentration definiert werden. Um eine Sache genau zu fixieren, um sich mit dieser Sache zu verbinden braucht es neben den erwähnten Faktoren auch Musse, Ruhe und Zeit, damit sich das Gelernte setzen kann.

Die Kinder haben einen anspruchsvollen Job zu erledigen innerhalb einer Gesellschaft, die es ihnen nicht leicht macht, ihn optimal zu erledigen. Kinder brauchen deshalb das Gefühl, dass sie verstanden werden. Sie wollen sich „angebunden fühlen“, in der Schule an die Lehrerin. Sie fühlen sich dann sicher und trauen sich mehr zu.

 

Die Fäden halte ich als Lehrerin in der Hand

Es ist wichtig mit den Kindern mitzugehen, um sie dort abzuholen wo sie sind. Da greife ich gerne zu ungewohnten Massnahmen, wie das Abenteuer „Schule 3×3 mit Monopoly auf Tisch auf See“ aufzeigt.

Dies ist meine innere Haltung, die mich in jedem Moment begleitet.

Sie gibt mir die Orientierung, doch ich vermische meine Haltung nie mit dem was ich konkret tue.

Das was ich konkret tue liegt auf einer andern Ebene, auf der Handlungsebene. Ich führe die Kinder und fordere sie.

Ich verlange klar und fordere das ein was ich verlangt habe. Das braucht Mut, weil es nicht mehr in ist das zu tun.

Ich setze die Massstäbe und ich mache deutlich, dass alles was ich anordne Konsequenzen nach sich zieht. Das führt die Kinder zur Haltung: Ich unternehme alles, um mir das Gelernte zu merken und danach zu handeln.

 

Der Gewinn

Die Kinder sind extrem stolz, wenn sie nach einer Phase, während der sie angestrengt, beharrlich und konzentriert gearbeitet haben, ein Produkt ihres Einsatzes präsentieren können. Sie erleben Leistung als positiv. Als Geschenk fürs ganze Leben nehmen sie die Liebe zum Lernen mit.

Sich anstrengen vermittelt Erfolgsgefühle und Lust auf mehr. Eine Sache zu verstehen, nachdem man sich eine Weile darum bemüht hat, setzt im Gehirn Botenstoffe frei, die ein Glücksgefühl auslösen. Und dieses Vergnügen gönne ich den Kindern gerne.

Gewinn