Ohne Begleitung

15. April 2012

Melanie, die Erstklässlerin war eine Woche lang Königin. Bereits Wochen zum voraus zählte sie alle Kinder der Reihe nach auf, welche noch vor ihr dran waren. Sie bestand darauf, ihr Amt zum ersten Mal ohne Begleiter durchzuführen. Alle freuten sich mit ihr, wie gut sie jeden Tag genau wusste, was sie der Reihe nach anzuordnen hatte. Sie fragte mich immer, mit dem schwarzen Wecker in der Hand, um welche Zeit sie was rufen müsse. Beim Abfragen der Wörter zu Beginn der Englischlektion gebe ich jeweils das Stoppzeichen indem ich sage, es komme nun the last one. Alle Kinder waren ganz verblüfft, als Melanie selber nach etwa sechs gezeigten Kärtchen ankündete, das sei nun the last one.

Melanie darf stolz sein auf ihre Leistung als Wochenkönigin.

Bewusst gesetzte Inkonsequenz macht Ordnung lebensfreundlich

7. April 2012

Ordnung und Disziplin sind wichtige Themen für Lehrpersonen. Es gibt dazu viele nützliche Rezepte und Tipps. Doch zusätzlich braucht es einen eigenen bewussten Umgang mit diesen Themen. Damit ich erkennen kann, was in einer bestimmten Situation für ein Kind fördernd wirkt, muss ich mich der Situation und dem Kind zuwenden.
Die Kinder in der Schule 3×3 sind angehalten, ihre Arbeiten sorgfältig und in zügigem Tempo zu erledigen. Sie wissen, dass sie andernfalls während der „Lernbaumkletterzeit“ die Arbeiten nochmals schreiben müssen, während die andern Kinder bereits die grosse Pause geniessen.
Es kann nun vorkommen, dass eine unsorgfältig erstellte Arbeit am   Morgen auf dem Pult des betreffenden Kindes liegt, perfekt gelöst. Auf die Frage des Kindes, wer das gemacht habe, erwidere ich, das müsse ein Heinzelmännchen gewesen sein. Das Kind schaut mich an, lächelt und meint, vielleicht war es ja auch eine Heinzelfrau. Es kann auch vorkommen, dass ich einem Kind einen Teil einer Arbeit erlasse.
Ich weiss aus eigener Erfahrung wie viel Mut es braucht, um aus einer Ordnung, die ja eigentlich funktioniert und mit viel Wissen aufgebaut ist, einfach auszubrechen.

Über welche Fähigkeiten verfügen Lehrkräfte, die diesen Mut haben?

  • Sie sind sich der eigenen fachlichen, sowie, was besonders wichtig ist, ihrer persönlichen Kompetenzen bewusst.
  • Sie sind fähig, sich schwierigen Situationen zuzuwenden, sie zu reflektieren und die Erkenntnisse daraus umzusetzen
  • Sie verfügen über eine Fülle an Wissen, Fähigkeiten, Strategien, Modellen, und Interventionstechniken. Sie wählen das aus, was der jeweiligen Situation angemessen ist.

Um diese Eigenschaften auf einen Nenner zu bringen: Lehrpersonen, die den Mut haben gegen eine Ordnung zu verstossen und das Ungewohnte zu tun, sind souverän.

 

 

 

 

Die Wochenkönigin, der Wochenkönig spielen eine wichtige Rolle

Jedes Kind übernimmt für eine Woche die Rolle der Wochenkönigin, des Wochenkönigs. Das Pflichtenheft ist gut gefüllt.
Die Kinder um acht Uhr dreissig zusammenrufen zum Englisch. Wenn alle in korrekter Arbeitshaltung bereit sitzen, Englischwörter abfragen. In Absprache mit mir, den Kindern melden, was abgegeben werden muss.In den Stuhlkreis rufen zum allmorgendlichen Übungssetting. Jeden Dienstag, anschliessend an den Gesang die Kinder für die Lernspielzeit in Zweiergruppen einteilen. Um halb elf Uhr mit dem Glöcklein läuten zur Mikropause. Wo immer die Kinder sich befinden, sie legen einfach den Kopf auf die Arme. Die Arbeit wird aufgenommen, wenn das Glöcklein wieder bimmelt. Die Länge der Mikropause bestimmen. Um 10.55  zusammenrufen zum „Lernbaum klettern“. Nach der grossen Pause zur Liegepause rufen. Am Mittag sich als erster auf den Weg machen, um im Personalrestaurant des Spitals Männedorf den Tisch zu decken. Essen abholen, Tischregel bekannt geben, Tisch abdecken, Geschirr in der Küche abliefern.Um 15. 35 die Kinder daran erinnern, was sie alles abgeben müssen und dann zusammenrufen zum Ausklang des Schultages. Die Wochenkönigin, der Wochenkönig hat nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte. Sie dürfen der Gruppe zweimal eine Wunschzeit von zwanzig Minuten Dauer schenken. Es ist sicher deutlich geworden, wie viel ein Wochenkönig, eine Wochenkönigin zu tun hat. Sie nehmen mir viel Arbeit ab. Es ist interessant zu beobachten, wie unterschiedlich diese Entlastung ist, je nach der Art und Weise, wie die Rolle von den Kindern ausgefüllt wird. Ernst nehmen tun sie alle.

„Jetzt bin ich ganz verwirrt“

1. April 2012

Zu Beginn der Doppelstunde Turnen dürfen die Kinder frei spielen. Die offizielle Lektion beginnt mit einer Liegepause. Kürzlich fehlten einige Kinder. Die wenigen Kinder absolvierten ein Fussballtraining. Der „Cheftrainer“ war abwesend. Doch er hatte Martin am Vortag instruiert, wie er das Training durchführen müsse. Das lief gut, und ich liess sie bei ihrem Tun verweilen. Dann kam Leon zu mir, um zu fragen, ob sie bereits jetzt einen Fussballmatch machen dürften. Als ich bejahte, meldete er dies der Gruppe. Jetzt kam Linus zu mir: „Hat denn die Turnstunde schon richtig angefangen? Wir haben ja noch keine Liegepause gemacht. Ich bin ganz verwirrt.“
Linus Verhalten zeigte mir einmal mehr, wie wertvoll es für die Kinder ist, wenn alles seine Ordnung hat. Sie wollen sich darauf verlassen können.

 

Altersgemischtes Lernen

25. März 2012

In der Schule 3×3 werden die Kinder in einer altersgemischten Lerngruppe unterrichtet. Jeden Tag, jede Stunde ja jede Minute bereichert mich diese Unterrichtsform. Es macht so viel Freude die Kinder in ihren unterschiedlichen Rollen zu beobachten. Das Mädchen aus der ersten Klasse soll auf einem Arbeitsblatt zu Ziffern die entsprechende Menge an Gegenständen zeichnen. Melanie hat gelernt, dass der Satz „Ich kann das nicht.“, in der Schule 3×3 nicht gilt. Sie bittet um Unterstützung, denn sie möchte nicht einfach drei Vögel zeichnen, sondern es müssen drei Adler sein. Also zeichnet Martin für Melanie einen Adler. Damit Melanie den Adler gut nachzeichnen kann, gibt ihr Martin Tipps, wie sie schön der Reihe nach vorgehen solle beim Abzeichnen. Es kommt gut heraus. Aljoscha zeichnet anschliessend für Melanie einen Delfin. Noch während des Zeichnens meint er, dass seine Art die Delfine zu zeichnen zu kompliziert sei. Er radiert den Körper und lässt nur den Kopf stehen.  Melanie zeichnet nun die Köpfe der Delfine.

 

Zwei Elstern

24. März 2012

„Ich habe gestern an der alten Landstrasse auf einem Baum zwei Elstern gesehen! Ich habe sie fliegen gesehen. Ich sah ganz deutlich, dass sie weiss sind und ein wenig blau habe ich auch gesehen“, berichtet mir Martin am Morgen ganz stolz. Auf dem Weg zur Turnhalle führte uns Martin auf einem kleinen Umweg zum hohen Baum. Alle blickten gespannt. Zum Glück hatte David den Fotoapparat bereits gezückt und er konnte den Anflug der Elster festhalten. Die Kinder konnten feststellen, dass das Gefieder wirklich auch die blaue Farbe enthielt. Am Vortag hatten sie nur anhand einer Beschreibung das Federkleid einer Elster angemalt. Eben flog ein zweiter Vogel heran. „Aha, die bauen ein Nest, ich sah, dass der Vogel etwas in seinem Schnabel trug. Das Nest hat noch keinen Boden, man kann noch durchsehen.“
Martin war sichtlich erleichtert und stolz, dass seine Entdeckung vom Vortag so viel Freude auslöste.

Ausschnitte aus Schülertexten

17. März 2012

Was kommt dir in den Sinn, wenn du an den schoolroom denkst? Zu dieser Frage schrieben die Kinder folgende Antworten:

Ich arbeite an meinem Platz konzentriert, sorgfältig und in gutem Tempo. Wir dürfen nur miteinander reden, wenn wir am green table mit dem Lernpartner sind oder wenn der Tisch in front of the shelf schräg steht. Ich fühle mich wunderbar im schoolroom, weil ich schon lange in der Schule 3×3 bin, weil ich alle Regeln kenne und weil ich mich sicher fühle.

Im schoolroom ist es immer ruhig. Ich arbeite sorgfältig und schreibe sorgfältig. Mit Interesse schreibe ich einen Text über das Monopolyspiel. Ich mache keine soziale Zeit, d.h. ich rede nicht grundlos mit andern Kindern. Im schoolroom fühle ich mich gut, weil ich vorwärts komme.

Ich denke an die Kinder und natürlich an Frau Baumgartner. Ich denke am meisten an mich und ich arbeite immer fleissig, aber auch schnell. Und das ist genau die Schule, die ich mir immer gewünscht habe.

Im schoolroom ist man leise. Man arbeitet konzentriert. Man rennt nicht, sondern man geht. Jetzt lerne ich das Einmaleins auswendig, weil ich es dann brauche für die schriftliche Multiplikation.

Ruhig arbeiten, sorgfältig arbeiten, Aufträge korrekt erfüllen, seinen Arbeitsplatz sauber halten, Blätter einordnen, sich um seine Arbeit kümmern, das alles mache ich im schoolroom. Ich fühle mich gut, weil ich konzentriert arbeiten kann.

Im schoolroom fühle ich mich gut. Ich finde es toll im schoolroom. Man muss leise sein. Der schoolroom ist ein ruhiger Ort.

„Da draussen sah ich eine Elster“

„Da draussen sah ich eine Elster“. Mit diesem Satz überraschte mich gestern während der Pause Dario und er zeigte auf einen Strauch in der Hecke vor den Räumen der Schule 3×3. Was ist an dieser Aussage erwähnenswert?

Am Montag wurde in der Naturkunde mit dem neuen Thema gestartet. Die Kinder werden über ein ganzes Jahr verteilt immer wieder im Park am See dieselben Pflanzen beobachten und ihre Entwicklung dokumentieren. In meiner Vorbereitung steht auch, dass die Kinder eine Karte der Umgebung erstellen werden, in welche sie das Vorkommen von Elstern eintragen können. Über dieses Vorhaben hatte ich mit den Kindern überhaupt noch nicht gesprochen und daher überraschte und erfreute mich diese Aussage. Das Phänomen „etwas liegt in der Luft“ habe ich bereits einige Male mit den Kindern erlebt. Es zeigt, dass Menschen untereinander stärker verbunden sind, als wir gemeinhin annehmen.

 

 

Die Kinder werden geführt

10. März 2012

In der Schule 3×3 werden die Kinder in einer altersgemischten Lerngruppe unterrichtet. Aktuell unterrichte ich Kinder der ersten, dritten und fünften Klasse. Da ist es klar, dass ich viele Abläufe gleichzeitig kontrollieren muss. Auch wenn ich mit einer kleineren Gruppe arbeite oder mit einzelnen Kindern, so behalte ich die Grossgruppe immer im Fokus. Ich bin jederzeit auf dem Laufenden was nahe oder ferner von mir abläuft. Dario führt zum Beispiel wöchentlich im corridor ein Fussballtraining durch mit Martin, während ich mit den andern Kinder im schoolroom bin. Beim letzten Mal tönte Dario’s Stimme bereits nach kurzer Zeit nicht mehr wie die eines Trainers, sondern wie die eines Kumpels. Anschliessend stellte ich ihn zur Rede. „Ich habe einen Match gemacht. Das mache ich jedes Mal zum Abschluss.“ Ich machte ihn aufmerksam, dass das korrekt sei, wenn er das zum Abschluss mache, doch dieser beginne sicher nicht bereits in der Hälfte des Trainings. Ich kommuniziere so den Kindern, dass ich jederzeit zuhöre, auch wenn sie es nicht unmittelbar merken. Und ich weiss, dass Dario und Martin in Zukunft auf diesen Aspekt achten werden, weil beide haargenau wissen, dass sonst das Fussballtraining für einige Zeit gestrichen sein würde.

Wenn ein Kind, welches noch nicht lange die Schule 3×3 besucht, sehr langsam arbeitet, dann kontrolliere ich nach Schulschluss seinen Tisch nicht nur so routinemässig, sondern eingehend. Der Tisch ist voller Spuren von Abfällen des Radiergummis oder die Bleistiftspitzen im Etui sind mit grossem Krafteinsatz weggedrückt worden. Ich sammle diese Fundstücke ein und schreibe einen Kommentar plus Auftrag dazu, den das Kind im Rahmen des Lernbaumkletterns zu erfüllen hat. Das betreffende Kind zieht die Konsequenz und vergeudet keine wertvolle Lernzeit mehr.

Jeden Morgen darf Melanie mit der Baumfigur  auf den Pult klopfen und rufen: „Baumzeit!“ Jedes Kind arbeitet nun bis zur Aufhebung des Kommandos eigenständig. Melanie, als Erstklässlerin erhält nun eine Einzelbegleitung. Bei allem was ich tue, ich bleibe  immer auf die ganze Gruppe konzentriert. Die Kinder fühlen sich sicher, weil sie immer und immer erfahren, dass ich mit verschiedensten Schwierigkeiten umgehen kann.
Während meiner Laufbahn als Lehrerin arbeitete ich über einen längeren Zeitraum mit einzelnen Kindern. Aber so richtig im Element bin ich, wenn ich eine altersgemischte Lerngruppe führe.

Ich bin verpflichtet mich zu erinnern

8. März 2012

Donnerstag, 8.3.12
Das war eine kleine Begebenheit mit grosser Wirkung. Nachdem ich der ganzen Lerngruppe einen Sachverhalt dargelegt hatte, stellte ich einem der Kinder eine Frage. Seine Antwort lautete:“ Ich habe nicht richtig zugehört.“ Seit diesem Tag sind die Kinder im Besitz eines Heftes mit dem Titel „Ich bin verpflichtet, mich zu erinnern.“ Anschliessend an meine Instruktionen müssen die Kinder aufschreiben, woran sie sich erinnern. Ich gebe ihnen genau den Inhalt vor. Ich zeige ihnen, wie die Ergebnisse bewertet werden. Ich bin sehr zufrieden mit dieser Massnahme auch wenn sie Mehrarbeit bedeutet, denn die Kinder müssen ihre Texte vervollständigen und überarbeiten bis er den Vorgaben entspricht.

 

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